Quirin Gerstl


 
Quirin Gerstl
Geboren    am 27.01.1890
Gestorben am 16.12.1963
Stationen: II. Matrosendivision
                  MG Kompanie A.2.II
                  Marine Luftschiff L 24
                  Marine Luftschiff L 30
                  Marine Luftschiff L 52

 

 

Aufgeführt wird hier ein Erlebnisbericht von Quirin Gerstl:

Schon seit meiner frühestens Jugend liebte ich nichts so sehr als die Reiseberichte mutiger Seefahrer und heldenhafter Forscher. Die Beschreibungen unbekannten, ferner Länder erweckten in mir eine starke Sehnsucht nach der weiten Welt. Tatsächlich wurde mein Jugendtraum beglückende Wirklichkeit: ich kam zur stolzen deutschen Flotte. Als Matrose lernte ich die halbe Welt kennen. Mit der S.M.S. Comoran segelten wir jahrelang in den Gewässern der Fernen Ostens herum. Wir exerzierten auf den Südseeinseln, marschierten durch Hongkong, promenierten durch japanische Hafenstädte, taten Dienst in Tsingtau, erholten uns in Australien. Im Januar 1911 war ich auf Ponape, wo kriegslustige Stämme gegen Deutschlands Herrschaft sich auflehnten. Ich erlebe dort mein erstes Gefecht, bei dem Leutnant zur See Otto Ehrhard durch eine Kugel aus dem Hinterhalt erschossen wurde. Eine Reihe deutscher Schiffe, darunter die im Weltkriege so berühmt gewordene „Emden“, nahmen an der Niederwerfung des Aufstandes teil.

1912 kehrte ich in die Heimat zurück. Als der Krieg ausbrach, meldete ich mich freiwillig. Ich hoffte, zur Marine zu kommen. Wie enttäuscht aber war ich, als ich einer Maschinengewehr-Abteilung zugeteilt wurde. Trotzdem gab ich die Hoffnung, von der Erde wegzukommen keineswegs auf, sondern meine Gedanken wurden sogar sehr hochfliegend. Im März 1916 ging mein Wunsch auf eine seltsame Art in Erfüllung. Als wir zum Appell angetreten waren, wollte ich mein Anliegen „betreff Meldung zu den Luftschiffern“ vorbringen. Ehe ich aber vortreten konnte, wurde mein Name aufgerufen. Man teilte mir mit, dass ich in Dresden – als Luftschiffer ausgebildet werden sollte. Sofort packte ich meinen Kleidersack und haute ab.

Nicht lange war ich in Dresden, da wurde ich nach Fuhlsbüttel bei Hamburg geschickt. Selbstverständlich interessierte mich die Hafenstadt Hamburg genau so wie der Fuhlsbütteler Flugplatz. An einem Samstag Nachmittag machte ich mich zum Ausgang bereit. In unsere Bude schattete die wuchtige Zeppelinhalle, die ja dicht neben unserem Heim lag. Nun, einen Nachmittag will ich dich vergessen, dachte ich mir. Auch meine Kameraden waren schon voller Freude über den bevorstehenden „Hamburger Bummel“. Da  geschah etwas, was uns vor Schrecken erstarren ließ. Aus der Halle schlugen Flammen empor, Rauchschwaden wälzten sich über das ganze Gelände, Feuergarben schossen hinterdrein, gewaltige Detonationen folgten, Trümmer schwirrten durch die Luft, glühende Träger wurden emporgewirbelt, ein Eisenhagel trommelte auf das Dach unseres Heimes, unsere Fenster klirrten, der Boden erzitterte – die Hölle war los.

Und dann lag vor uns ein ungeheurer rauchender Trümmerhaufen. Die verbeulten, geborsteten und zerfetzten Gerippe der beiden Luftschiffe „L 6“ und „Sachsen“ ragten gespenstisch aus dem Chaos der völlig zerstörten Halle. Niemand wusste um die Ursache dieser furchtbaren Katastrophe.

Tondern war unser Hafen und unser Schiff trug den Namen „L 24“, das Kapitänleutnant Friemel führte. Der Kommandant war im Dienst ein energischer Führer, eisern in seiner Pflichtauffassung und Disziplin, aber gerecht und immer und überall ein guter Kamerad. Unsere Aufgabe war es, Aufklärungsfahrten durchzuführen. Es waren herrliche, unvergessliche Fahrten, wenn sie auch manchmal durch strömenden Regen und dichten Nebel gingen. Der unverwüstliche Kameradschaftsgeist half über alle trostlosen Tage hinweg und gewann selbst in den dreckigsten Stunden die schönsten Erinnerungen ab. Wie begeistert waren wir alle zusammen, wenn wir in drei- und viertausend Meter Höhe dahinfuhren und unter uns die Welt im Sonnenuntergangsfeuer brannte, wenn unser Schiff in das Silberscheinen des Mondes glitt oder im jagenden Wolkenmeer die aufgehende Sonne sich in allen Farben brach. Meist führten uns die Aufklärungsfahrten über die Nordsee, um die Minensuchboote zu sichern. Die „Minensuchfahrten“, wie wir sie nannten, waren hier und da nicht ungefährlich. Unser Luftschiff ging oft auf 200 und sogar auf 100 Meter herab. Ununterbrochen waren die deutschen Luftschiffe unterwegs, um die Marine in ihrem Kampfe zum Schutze der heimatlichen Küste zu unterstützen. Diese Aufklärungsfahrten befriedigten aber den Tatendrang der Besatzung von „L 24“ keineswegs. Mit Neid blickten wir auf jene Luftschiffe, die zur Fernfahrt aufstiegen oder von einer solchen zurückkehrten. Fernfahrt bedeutete Luftangriff auf England, bedeutete Kampf und Sieg. Am 27. Oktober 1916 stiegen wir zur ersten Fernfahrt auf. Es war mittags 1 Uhr, als wir das Schiff aus der Halle brachten. Das Wetter war für einen Luftangriff ideal. Wir hatten gute Fahrt. Unter uns wanderte schnell das Land, die Küste, das Meer, und doch ging uns die Fahrt zu langsam. Wir konnten die englische Küste kaum erwarten. Mit 90 – 120 Stundengeschwindigkeit brauste der Zeppelin durch die stockfinstere Nacht. Hoffentlich bleibt es so diesig, dachten wir.

Ich stand auf der Plattform des Luftschiffes. Ein eisiger Wind knatterte uns entgegen. Was kümmerte mich die Kälte – ich war glücklich, wenn ich von meinem lustigen Stand einen Blick in die Tiefe tun konnte. In 3000 Meter Höhe flogen wir. Ich sah auf die Uhr. Es war zehn Uhr nachts. Die englische Küste musste bald kommen. Durch die Wolkenschleier sickerte das silberfahle Scheinen des Mondes. Einige Wolkenfetzen von gespenstischen Formen kamen auf uns zu – und dann war es sternenklar über uns. Und mondhell !

Tief vor uns leuchteten mit einmal die Lichter der englischen Küste auf. Wir sahen sogar die hellen Streifen der Brandung. Solche Nächte waren für Luftangriffe höchst unerwünscht. Als wir über der Küste waren, fiel zu aller Entsetzen der vordere Motor aus. Streicheln und Zureden halfen nichts. Der Motor wollte nicht mehr. Mit äußerster Anstrengung versuchte der Maschinist, den Motor wieder in Gang zu bringen. Unser Kommandant, der die Verantwortung für Schiff und Besatzung trug, erwog den Gedanken der Rückkehr. Die Geschwindigkeit minderte rasch ab. Umkehren ? Sollte so die erste Fernfahrt enden ? Ohne Kampf ? Nein ! Unser Kommandant wagte den Angriff. Scarborough hieß das Ziel. Nicht lange dauerte es, da schnellte ein grelles, blendendes Licht empor. Gleich einem riesigen Arm tastete der Scheinwerfer den nächtlichen Himmel ab. Da hatte er auch schon unser Schiff gefasst und ließ es nicht mehr los. Tausend Feuerschlünde öffneten sich. Die Abwehrbatterien bellten, Schrapnellwölkchen spritzten hoch, Heulen und Pfeifen erfüllte die Luft. Unsere Bomben sausten in die Tiefe. Wir sahen das Aufflattern von roten Feuerfahnen. Unser Schiff stieg auf eine Höhe von 3400 Metern. Ich stand immer noch auf der Plattform im brausenden Winde. Wenn ich in die Tiefe sehen konnte, beobachtete ich Hunderte und Hunderte von Mündungsfeuern. Irgendetwas zwang dann meinen Blick gerade aus. Mir war es so, als hätte ich ein Luftschiff im Scheinwerferlicht aufblitzen sehen. Es war wirklich ein Zeppelin, der alle Anstrengungen machte, dem gefährlichen Leuchtstreifen zu entfliehen. Unablässig verfolgte ich den Kampf des Kameraden da vorn. Da – ich wagte kaum mehr zu atmen – stand das Luftschiff in Flammen. Einige Sekunden schwebte der Feuerball weiter, dann neigte er sich und fiel und fiel – „L 34“ stürzte brennend in die Tiefe.

Am 28. Dezember 1916 stiegen wir wieder einmal zur Minensuchsicherung auf. Es war unsere Aufgabe, darüber zu wachen, dass unsere Minensuchboote von feindlichen Angriffen nicht überrascht wurden. An diesem Tage aber hatten wir derart schlechtes und stürmisches Wetter, dass wir gegen Nachmittag einlaufen mussten. Wir sahen mit großen Bangen der Landung entgegen, die bei solchen Böen nicht ohne Gefahr für das Luftschiff war. Durch ein besonderes Signal wurden sämtliche Mannschaften des Flugplatzes zum „Notmanöver“ alarmiert. Selbst die gefangenen Russen wurden zur Unterstützung des Haltemannschaften angefordert. Unsere Landung war zwar gelungen, aber das Einbringen des riesigen Schiffes in die Halle war fast unmöglich, so stark sprang der Wind über den Platz. Unter Anwendung aller nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen gelang es, das Schiff zu einem Drittel in die Halle zu bringen. Mit einemmal wurde der Zeppelin derart quer gedrückt, dass die Spitze, die sich schon im Innern befand, gegen einen Träger gepresst wurde. Funken sprühten, Flammen zischten auf und im Nu brannte das Luftschiff lichterloh. Im Augenblick des Beginns der Katastrophe stand ich noch am Ruder. Ich sprang durch das Fenster in die Tiefe. Auch die übrige Besatzung konnte sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Aber die Bomben ! Im Luftschiff befanden sich drei Ein-Zentner-Bomben und mehrere 25-Pfund-Bomben. Merkwürdigerweise erfolgte keine Explosion. Waren sie ausgeblasen oder waren sie herausgerissen ?

L 24, unser ruhmvolles Schiff, das uns zu dem erfolgreichen und viel beachteten Angriff auf Scarborough trug, verbrannte bis auf einen ärmlichen Rest.

Wir erhielten „L 30“, den wir bald wieder abtreten mussten.

Im Juli 1917 holten wir in Berlin-Staaken „L 52“ ein neu erbautes Luftschiff, das wir nach Wittmundshaven überführten. Verschiedene Höhenfahrten, bei denen wir auf 5600 und 5700 Meter Höhe gingen, bewiesen dessen Verlässigkeit. Am 21. August 1917 befanden wir uns in 5000 Meter Höhe über der Nordsee, als wir plötzlich von gewaltigen Wetterwolken eingeschlossen wurden. Ich stand auf der Plattform des „L 52“ und beobachtete die Gewitterwolken, zwischen denen wir hindurchschlüpfen wollten. Zwei Stunden umflammten uns die Blitze, die immer dichter und schärfer wurden. Ein unheimliches Gefühl beschlich uns, wie unser mit brennbarem Gas gefüllter Riese zwischen den Gewittern hin und her manövrierte. Wir dachten an „L 10“, das brennend aus den Gewitterwolken stürzte. Wie durch ein Wunder entkamen wir diesem entsetzlichen Schicksal. Am 24. September 1917 unternahmen wir zum erstenmal mit unserem neuen Luftschiff eine Fernfahrt. Das Ziel war Grimsby. Die Fahrt verlief zunächst glatt und wir sahen die Lichter der englischen Küste, als ein Motor aussetzte. Wir wurden um die eigene Achse gedreht. Da entdeckten wir, dass nur mehr ein Motor in Gang war. 5200 Meter unter uns blitzten die Lichter von England, lauerten die Scheinwerfer, waren die Abwehrbatterien bereit. Hätte uns der Engländer in dem Augenblicke dieses Missgeschickes bemerkt, wären wir rettungslos verloren gewesen. Wir gaben den Angriffsplan auf und versuchten, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen. Wahrhaftig – das Glück war mit uns. Die Motoren begannen plötzlich wieder zu arbeiten, sie ließen uns nie mehr im Stiche, sondern leisteten seitdem Großartiges.

Wir haben ihn nicht vergessen. 

Der Verfasser